Texte aus dem Jahr 2016
 
Siehe auch die eigens dazu eingerichtete Website hier

Meine Notationszeichnung
Hannes Kater, Version 2.06 (2016 - 2022)
*

Mein Zeichnen ist eine Spielart des experimentellen Zeichnens, die nicht in erster Linie den körperlichen und emotionalen Potentialen des Zeichnens nachgeht, sondern den kognitiven Möglichkeiten: es gilt, mit dem Stift die Welt nicht nur nachzuvollziehen, strukturierend zu interpretieren und weiter zu zeichnen – sondern auch bildnerische Lösungen zu finden, die mein künstlerisches Ziel unterstützen, dass Zeichnung zu einem Operationsraum mit sich verhaltenden Objekten, die untereinander agieren, werden kann.
Denn so wird mein Zeichnen mehr als nur ein Instrument zur Abbildung: es wird eine Option zur Herstellung von Sachverhalten.


Ich zeichnete schon immer gerne und viel – ich zeichne spielerisch und forschend, zergliedernd und ordnend. Mal aufmerksam und gesammelt, mal unfokussiert und abgelenkt. Und das eben nicht nur im Atelier, sondern auch in Vorlesungen, in der Bahn, beim Telefonieren, vor dem Einschlafen im Bett – und überhaupt.

Und was zeiche ich so? Es gibt das mehr oder weniger wiedererkennbare Abbilden von dem, was ich sah oder erinnerte, aber auch das Rumkritzeln und Daddeln, das automatische Zeichnen, das Provozieren von Zufällen, das Untersuchen von Linienqualitäten, das Einarbeiten von Textfragmenten, usw.
Aber je mehr ich zeichnete, desto mehr wünschte ich mir bessere Optionen um Erinnerungen, Denkverläufe und Assoziationen genauer und – zumindest für mich – decodierbar, also wieder auslesbar – aufzeichnen, also speichern, zu können.

Also führte ich zusätzliche Zeichen ein, erfand sie kurzerhand, die nach meiner Vorstellung in etwa so funktionieren sollten, wie Attribute in mittelalterlichen Bildern – denn eine Variante von Ideographie, also einer Schrift, die nicht aus abstrakten Zeichen wie a, b, c, sondern aus stilisierten Bildern (Ikons) besteht, verbot sich als Lösung, weil für die notwendige eindeutige Anordnung dieser diskreten Zeichen fast sämtliche Bildqualitäten hätten aufgegeben werden müssen.[1]
Mit diesem Ansatz zeichnete ich weiter und beobachtete, was sich entwickelte. Zunehmend tauchten jetzt weitere Zeichen in meinen Arbeiten auf. Manche dieser Zeichenfindungen drängten sich mir geradezu auf, andere formten und veränderten sich organisch beim Zeichnen. Und wenn für eine Bedeutung noch ein Zeichen fehlte, legte ich sein Aussehen schon mal kurzerhand fest. Interessanter Weise waren dies dann oft die Zeichen, in der täglichen Praxis nicht gut funktionierten.









[1]  








Selbstverständlich arbeitete ich auch mit tradierten künstlerischen Möglichkeiten wie der Bedeutungsgröße und -farbe, Lösungen aus der Info-Grafik, dem Comic und durchaus auch aus der Schriftgeschichte.
Aber die Zeichen, die sich bewährten, nannte ich Darsteller. Und bald legte ich ein online stetig aktualisiertes Verzeichnis dieser Zeichen an: mein Darstellerlexikon.[2]

[2]  















[3]  

Wichtig: keine Notation – dazu zählt auch verschriftliche Sprache – ist selbst-verständlich lesbar. Um eine Notation zu verstehen, muss man ihre Regeln kennen und einüben…
Keine Notation kann etwas vollständig aufzeichnen, es gibt immer Übertragungsverluste. In glücklichen Fällen kann aber auch etwas dazu kommen.

Das etwas nach in sich stimmigen Regeln organisiert ist, bemerkt – und würdigt – man als Betrachter, auch wenn man die Regeln nicht, oder kaum, kennt.


Auf meiner Website stelle ich in über 1900 kommentierten Einträgen interessante Pfeile in ihrem jeweiligen Zeige-Kontext vor. Außerdem stelle ich dort auch meine Tageszeichnungen online, wie auch 8 Jahre lang zusätzlich auf tumblr und seit nun 3 Jahren auf instagram.


Bald beobachtete ich beim Zeichnen etwas, mit dem ich so nicht gerechnet hatte: ich konnte nicht nur Denkvorgänge und Denkabläufe aufzeichnen und wieder rekonstruieren, ich konnte mit meiner Art zu Zeichnen auch denken. Wobei hier denken nicht nur ein Operieren mit sprachlich Formulierbarem meint.

Denn meine Darsteller – und die anderen Elemente der Zeichnung, etwa Pfeile [3] oder auch strukturelle Verdichtungen – machten sich ein Stück weit selbstständig, starteten ein Eigenleben: sie wurden im Operationsraum der Zeichnung zu sich verhaltenden Objekten, die untereinander agieren konnten. Mein Zeichnen wurde so ein Instrument nicht nur zur Abbildung, sondern auch zur Herstellung von Sachverhalten. Einmal auf den Trichter gekommen, tat ich mein Möglichstes, die selbstregulativen Potenziale solchen operativen Zeichnens zu fördern: ich traf nun viele Entscheidungen über mein weiteres Vorgehen vor dem Hintergrund, die Optionen für so eine operative Bildlichkeit zu verbessern. Das Papier, bzw. die Wand oder der Raum (bei den großen Arbeiten), wurde ein Operationsraum für Systeme von Handlungsweisen.

Vom Denken als kognitivem Verarbeiten her betrachtet, ist mein Zeichnen zu einem Medium geworden, in dem sich mein Denken beim Zeichnen vollzieht.[4]
Vom Zeichnen her betrachtet, ist dies nicht nur eine Praxis, schon Gedachtes, oder auch abrufbares Wissen, abzubilden, sondern auch ein denkendes Handeln in meinem, durch meine Vorgaben und langes Training sich stetig verbessernden, Operationsraum: ich kann präzisieren, Gedanken weiter führen, ja, sogar Konzepte entwickeln, also Wissen schaffen. Über 5000 solcher Trainings-Zeichnungen – meine sogeannten Tageszeichnungen – sind auf meiner Website www.hanneskater.de dokumentiert.



[4]  



So zu Zeichnen bedeutet auch, Einfälle zu fördern und Aufmerksamkeit zu staffeln, ich kann so epistemisch-heuristisch arbeiten, nicht Wissen nur wiedergebend.

Die Themen, die in mein Zeichnen Eingang finden, und so einen entsprechen Zeichen-Fundus notwendig machen, reichen von den emotionalen Befindlichkeiten und Körperwahrnehmungen meiner Protagonisten in ihren Beziehungsgeflechten, bis hin zu konkreten Geschehnissen
wie Krieg (ein erkennbarer Panzer) oder abstrakteren Ideen wie Ideologie (hat seit 2002 einen eigenen Darsteller mit einem Bedeutungsfeld von u.a. beschränktes Weltbild und ausschnitthafte Wahrnehmung).


Etwas Wittgenstein

Die Zeichenkette (Konfiguration), bzw. der Gedanke dahinter, erklärt die einzelnen Notationszeichen – und nicht, wie gemeinhin angenommen, die einzelnen Zeichen die Zeichenkette, bzw. den Gedanken.

Die Bedeutung eines Zeichens ergibt sich aus der Stelle, die es innerhalb einer Zeichenkonfiguration einnimmt, die Bedeutung wird (auch) durch die Platzierung bestimm: Stellenwertsemantik.[5]

[5]  

Die Bedeutung eines Notationszeichens ist sein Gebrauch im Notationssystem. (Wittgenstein)
Konstruktion und externe Interpretation einer Zeichenkonfiguration (einer Notationszeichnung) sind nicht (immer) deckungsgleich. Obwohl eine Zeichenkonfiguration unterschiedlich interpretiert – und auch eine zu treffende Aussage mit unterschiedlichen Zeichenkonfigurationen dargestellt werden kann, ist doch die interne Korrektheit [6] der Ableitungen und Folgerungen nicht in Frage gestellt.

[6]  

Interne Korrektheit: Konsistenz
Die intensive Nutzung der Möglichkeiten des Speicherns, Wiederholens und Revidierens macht mein Zeichnen zu einem epistemisches Zeichnen, zu einem heuristischen Entdeckungsverfahren [7] – meine Darsteller werden als Notationszeichen, zusammen mit den anderen Elementen der Zeichnungen, zu Operatoren im Suchraum und zum Medium der Suche.

[7]  

Heuristik – analytisches Vorgehen, bei dem mit begrenzten Wissen über ein System mit Hilfe von mutmaßlichen Schlussfolgerungen Aussagen über das System getroffen werden.


 Zum Seitenanfang



[ Home | Zeichnungsgenerator | Aktuell | Zeichnungen | Projekte | Texte | Service ]
[ Impressum | Mail an Hannes Kater ]